Die Dorfälteste erzählt

Madame X (der Name fehlt im Text) ist mit ihren 87 Jahren die Dorfälteste. Sie macht jede Woche lange Wanderungen durch den Wald, und ihren Garten hält sie alleine in Ordnung. Im letzten Jahr hat sie entdeckt, wie praktisch eine blaue Arbeitshose ist, wenn man draußen auf dem Feld arbeitet. Im Winter, nachdem sie nach den Kastanien gesehen hat, sucht sie die Wärme abwechselnd bei einem ihrer Kinder.

"Meine erste Erinnerung ist, daß ich mit meinem Bruder Louis in die Kastanien ging. Louis war sechs, ich vier Jahre alt. Wir gingen in Holzschuhen und trugen ein hölzernes Gefäß mit unserem Essen. Den ganzen Tag, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang sammelten wir zwei Kastanien. Wir füllten den Sack mit 100 Kilogramm. Wir fanden diese Kastaniensache wunderbar, fühlten uns groß und kamen völlig erschöpft zurück. Fast waren wir zu kraftlos, die Suppe zu essen, bevor wir ins Bett gingen. Aber was waren wir stolz, als unser Vater mit dem Maulesel den Sack holte! Schon im Alter von vier Jahren konnte ich mich nützlich machen, deshalb ist dies meine erste Erinnerung.

Die Schule in Laboule
Als ich sechs Jahre alt war, kam ich in die Schule nach Laboule. Wir saßen alle zusammen im selben Klassenzimmer, und wenn man dann so mit zehn Jahren lesen und schreiben konnte, waren die Eltern sehr zufrieden. Wir hatten Bänke mit einem Deckel, der aufgeklappt werden konnte. Darin konnte man all seine Sachen verstauen: Tafel, Kreiden, Bleistifte und mehrere Bücher. Die Lehrerin erzählte uns Geschichten und wir lernten rechnen. Damit wir im Winter nicht allzusehr froren, brachten die Eltern abwechselnd Holz für den alten Ofen im Klassenzimmer. Die Lehrerin war sehr nett, sie ließ uns unsere Suppe auf einer Ecke des Ofens warmmachen. Ich erinnere mich besonders an ein sehr lustiges Ereignis: der Dielenboden des Klassenzimmers war alt und wurmzerfressen, so daß die Lehrerin, die doch gar nicht sehr schwer war, eines Tages plötzlich hindurchsackte – sie war nur noch brustaufwärts zu sehen. Zum Glück hat sie sich nicht wehgetan. Wir haben noch lange darüber gelacht.
Wenn es schneite, schliefen Louis und ich in der Schule, da der Heimweg zu weit war. Im Winter haben sich oft die älteren Kinder verfroren um den Ofen geschart. Abends wurden kleine leichte Feldbetten aus einem Nebenraum geholt und aufgestellt. Dann machten wir Spiele – wir spielten Verstecken oder das "Gänsespiel", für das wir aus Pappe Figuren bastelten, oder die "farendale" einen Tanz. Wir hatten sehr viel Spaß.
An Tagen, an denen es regnete, war der Weg zur Schule manchmal gelb vor Salamandern – heute sieht man sie nur noch ganz selten. Manchmal, wenn es wirklich heftig regnete, kamen die Eltern uns Kinder mit großen schwarzen Regenschirmen abholen.
Ehe wir nach der Schule heimgingen, besorgten wir immer Brot und Sachen aus dem "tabac" für jeden im Dorf. Wir brachten gerne etwas mit ins Dorf zurück, denn dann wurden wir immer mit etwas Leckerem belohnt: einem Glas Milch, einem Stückchen Zucker oder manchmal sogar einem Bonbon. Es gefiel uns sehr, in die Schule gehen zu können, denn man traf dort alle Kinder aus der Umgebung, und es war viel wärmer als draußen auf dem Feld.

Ein Schwesterchen
Wir waren sehr unschuldig und naiv, und die Schule war kein Ort, wo man solche Sachen lernt wie heute. Wir wußten zum Beispiel nichts über das Kinderkriegen. Eines Tages schickte uns mein Vater zu Emma, der Nachbarin. Er sagte, Mutter sei krank. Die Nachbarin gab uns ein Ei – ein echter Leckerbissen. Gegen zwölf Uhr mittags kam Vater uns wieder abholen und sagte: "Ihr habt ein Schwesterchen." Louis fragte erstaunt, warum Mama im Bett läge und wo das kleine Schwesterchen hergekommen sei. Vater antwortete uns, daß Mutter morgens auf den Berg gegangen sei, um sie zu suchen, und daß dort Kohlköpfe auf einem Feld gewachsen seien. (In Frankreich – und Holland – bringt nicht der Storch die Kinder, sondern sie wachsen an Kohlpflanzen.)
Auf dem Rückweg habe sich die Mama ein Bein gebrochen. Dies verwunderte uns sehr, denn Mama stand am nächsten Tag wieder auf, und es ging sehr gut mit ihrem Bein. Wir fanden es dann aber ganz und gar nicht eigenartig.
Für uns war es herrlich, bei der Zeremonie dabeizusein, wenn der Säugling saubergemacht wurde. Damals wusch man ein Baby nicht in einem Mal, sondern Stückchen für Stückchen. Das Baby wurde abgetrocknet und dann in Streifen von alten Laken gewickelt, bis es aussah wie eine Mumie. Für die nächsten vier Monate wurde es dann ins Bett gelegt und nur aufgenommen, um ihm die Brust zu geben oder um es sauberzumachen. Dabei wurden die Bänder, die um Arme und Leib gewickelt waren, aber nicht losgemacht – nur das Gesichtchen sah heraus. Man dachte, das Kind bekäme durch die erzwungene Unbeweglichkeit eine schöne Haltung und starke Gliedmaßen.

Tod und Aberglauben

Wenn ein Baby starb, gingen wir zum Gemüsehändler, der uns einen leeren Karton gab. Den legten wir mit Papier aus, und dann legten wir das Baby hinein. Unter den Karton kamen zwei Lappen, damit man ihn tragen konnte, und vier Kinder trugen ihn zum Friedhof. Der Tod hatte nichts Schreckliches für uns, er war etwas ganz Normales.
Unsere Leichtgläubigkeit – und auch die unserer Eltern – war grenzenlos. Das zeigt auch eine Geschichte, die ein Junge in der Schule erzählte, als ich zehn Jahre alt war: "Meine Mutter konnte nicht begreifen, warum unsere Marie immer so kränklich und schwächlich war. Sie gab ihr doch immer ein gutes Fläschchen. (Als Saugflasche nahm man eine Weinflasche, mit einem Läppchen in der Öffnung als Sauger). Und doch kümmerte die Kleine vor sich hin. Eines Tages, als sie in das Zimmer kamen, um, ich weiß nicht mehr was, zu tun, sahen sie eine Schlange, die die Milch aus dem Kind sog. Und wie? – Nun so: sie glitt in den Mund der Kleinen, ging in den Magen des Babys und schlürfte alle Milch auf." – Solche Geschichten, die jeder glaubte – auch unsere Eltern – fesselten uns maßlos. Beim Hüten der Geißen erzählten wir uns Geschichten. Wenn wir nicht allzuviel zu tun hatten, kamen wir alle zusammen, um über unsere Probleme zu reden – mitten zwischen den Ziegen und Schafen. Im Dorf hatten wir alle gemeinsam einen Hirten. Wenn man zehn Tiere hatte, mußte man ihm einen Tag lang zu essen geben - morgens, mittags, abends. Man mietete ihn so viele Tage, wie man Schafe und Ziegen hatte. Das war gut für uns, denn so konnten wir länger zur Schule gehen.

Die Arbeit in der Seidenspinnerei in Largentiere
Als ich zwölf Jahre alt war und mein Schuldiplom bekam (es gab nur wenige Kinder, die das Diplom bekamen – und sicher nicht vor ihrem dreizehnten Jahr), wurde ich in den Süden geschickt, um bei der Ernte zu helfen. Von Sonnenaufgang bis –untergang, mit einer halben Stunde Mittagspause, mußte ich arbeiten. Nach einem schweren Arbeitstag schliefen wir unter dem Dach eines Weinkellers, in dem der Wein zum Gären stand, was eine schrecklich scharfe Luft verbreitete, in der man dann die ganze Nacht lag. Wir schliefen auf Stroh – einer neben dem anderen, Männer, Frauen, Kinder – alle durcheinander. Aber die Ernte ging irgendwann auch zu Ende, und wir mußten schließlich Geld verdienen. Meine Eltern haben dann beschlossen, mich zur Seidenspinnerei zu schicken, die 22 Kilometer von uns entfernt war. Ich ging zu Fuß hin, in Schuhen, denn ich trug damals keine Holzschuhe mehr. Die Schuhe hatte ein Schuhmacher auf Maß gearbeitet, und ich war enorm stolz darauf. Vorne saßen Eisenspitzen, damit sie nicht so schnell verschlissen. Wir mußten sehr sparsam mit ihnen umgehen, denn sie waren furchtbar teuer.
Die Arbeit in der Spinnerei war schwer, aber interessant. Wir mußten die Kokons der Seidenraupen, die unsere Eltern gezüchtet hatten und die in Wasserbecken kamen, einen nach dem anderen abwickeln. Wir mußten versuchen, das Ende des Fadens zu erwischen. Man mußte gute Augen und Geduld haben, um das Fadenende zu finden und den Faden dann auf Spulen zu wickeln. Wir arbeiteten für Stücklohn, obwohl der Verdienst gering war. Das Geld, das wir verdienten, war für die Familie bestimmt, um unser Brot zu bezahlen und für die kleinen bescheidenen Ausgaben beim Lebensmittelhändler. Taschengeld – wir wußten damals nicht einmal, was das war. Ich erinnere mich noch an den Tag, als ich zum ersten Mal etwas für mich selbst kaufen durfte: es waren zwölf seidene Taschentücher. Ich habe sie noch immer in einer Schublade.
Manchmal trafen wir auf dem Rückweg einen Fuhrmann, der uns mitnehmen wollte. Aber man mußte aufpassen, denn oft hielten die Fuhrleute bei jeder der vielleicht 20 Kneipen an, die am Weg lagen. Man durfte es nicht eilig haben. Meistens gingen wir mit einer ganzen Gruppe aus dem Dorf los. Um den langen Weg schneller zu schaffen, sangen wir Lieder. Ans Laufen waren wir ja in dieser Zeit gewöhnt. Ich habe sogar eine alte Frau gekannt, deren einzige Existenzmöglichkeit darin bestand, Holz zu sammeln. Einmal in der Woche lud sie eine riesige Menge Holz auf ihren Rücken und brachte sie zu einem Bäcker, der zehn Kilometer entfernt wohnte. Der Bäcker gab ihr dann Brot für eine Woche.
Ich ging sonntagsmittags von zuhause los, mit dem Essensvorrat für eine ganze Woche. In unserem Knappsack war vor allem Brot. Unser großer Traum war immer, einmal eine billige Tafel Schokolade zu kaufen – auch wenn die Schokolade nicht besonders gut war. Beim Einkaufen gab es ein System von Prämienpunkten, mit dem man nützliche Sachen bekommen konnte: Wecker, Bügeleisen, Schüsseln, Kochtöpfe. Für viele Mädchen bildete dies den Grundstock ihrer Aussteuer.
Wenn man am Montagmorgen aufstand, mußte man sich beeilen, sein Essen fertigzubekommen, denn es gab nur einen Ofen für eine ganze Menge Mädchen. Die Frühaufsteherinnen konnten ihre Suppe warm essen, die andern aßen sie eben kalt. Wir schliefen in der Spinnerei in großen Schlafsälen ohne Heizung. Die Waschbecken waren im Winter meistens eingefroren.

Karneval, Feste und Hochzeiten
Wir waren sehr arm, aber wir amüsierten uns bestens. Das Leben war nicht eintönig – jede Gelegenheit wurde wahrgenommen, etwas Fröhliches daraus zu machen. So hatten wir z.B. das Hirtenfest: Der Hirte ging bei allen Häusern vorbei und bekam überall Wurst, Eier oder etwas Ähnliches. Dann wählte er ein Haus aus, und die Hausfrau machte dann aus den Gaben enorm große Omeletts, Schnee-Eier, gebratene Würste und Soßen. Alle diese Herrlichkeiten aßen wir dann zusammen auf dem Dorfplatz. Jeder war da – so eine Gelegenheit ließ sich niemand entgehen.
Auch Karneval war ein großes Fest, an dem man sich als Narren verkleidete und viel Spaß hatte. Die jungen Leute aus dem Dorf verkleideten sich mit allem, was sie finden konnten – alte Lappen, Stroh usw. Sie machten sich Masken aus Pappkarton oder Holz und zogen so von Dorf zu Dorf. Damit man sie nicht erkennen konnte, setzten sie ihre Masken niemals ab. Den Rotwein, den sie überall angeboten bekamen, tranken sie deshalb mit Hilfe einer Makkaroni. Ja, wir hatten zwar keine Strohhalme, aber jede Menge Phantasie! Der Karneval dauerte drei oder vier Tage – die Nächte nicht zu vergessen. Eine Familie aus dem Dorf übernahm jeweils das Kochen von Schweineohren für alle – das war damals für uns ein großer Leckerbissen.
In einem Jahr hatte eine alte Frau einen prächtigen Hahn, den sie aber nicht verkaufen wollte. Wir waren jung und immer zu Späßen aufgelegt. Ohne also etwas wirklich Böses im Sinn zu haben, beschlossen wir, einen von uns auszulosen, der dem Hahn den Hals umdrehen sollte. Das Los fiel auf meinen zukünftigen Ehemann. Als die alte Frau sah, daß ihr Hahn tot war, blieb sie nicht lange nachtragend: sie hat ihn dann lachend, und wohl gegen einen recht hohen Preis, an uns verkauft.
Wir freuten uns immer sehr auf das Marienfest im Mai. Die Kirche war ziemlich weit entfernt vom Dorf, deshalb mieteten wir bei einem Einwohner von Valousset ein Zimmer, in dem alle zusammenkommen konnten, und das dann auch als Kapelle benutzt wurde. Den ganzen Monat Mai trafen wir uns dort, um zu beten, aber auch zum Singen, Tanzen und Spaßhaben.
Herrlich fanden wir auch das St.-Johannesfest (23. Juli). Jeder mußte über ein großes Freudenfeuer springen. Wenn ich sage "jeder", dann meine ich wirklich jeder: Kinder, junge Leute, die Alten und selbst die Kranken. Wer nicht laufen konnte, wurde von zwei kräftigen Jüngeren unter den Achseln gefaßt und über das Feuer gehoben. Wir glaubten fest daran, daß man sonst das ganze Jahr Vipern im Haus haben würde; an dieser Tradition war also nicht zu rütteln.
Auch nach der Himbeerernte wurde ein Fest gefeiert. Ein junger Mann aus der Gegend hatte von seinem Vater ein Akkordeon bekommen, welcher es sich nach einer besonders guten Ernte in der Stadt gekauft hatte. So tanzten wir zu Akkordeon-Musik.
Am Neujahrstag machten wir immer eine Runde durchs Dorf. Manchmal bekamen wir Feigen, die zum Trocknen in den Schornsteinen hingen. Sie schmeckten nach Rauch, aber für uns war es ein echter Luxus.
Im Herbst, wenn die Kastanien geerntet wurden, herrschte überall Fröhlichkeit. Man schlug auf die trockenen Kastanien mit einem "pisé", einem runden Stück Holz mit einem Loch in der Mitte für den Stiel. Die Unterseite war mit großen Nägeln beschlagen, um die "peloux", die Kastanien mit Schalen, herunterzuholen. Dann wurden sie in eine "tarare" gefüllt, eine Maschine zum Kastanienschälen. Dies nannte man das "Weißmachen der Kastanien". Die weißgemachten Kastanien wurden zu den Mühlen gebracht, um Mehl daraus zu mahlen. Abends, wenn das Mehl fertig gemahlen war, tanzten und sangen wir. Dann aßen wir auch Schinken und Wurst, eine große Seltenheit. Solch ein Fest gab es auch, wenn die Schweine geschlachtet wurden.
An den Winterabenden trafen sich die jungen Leute im Elternhaus eines der Mädchen. Dann erzählten sie, sangen und tanzten. Am Ende des Abends boten die Eltern des Mädchens ihnen warme Schokolade an, und alle gaben ein bißchen Kleingeld, um das Getränk und das Öl für die Lampe zu bezahlen.

Hochzeit

Oh, und dann die Hochzeiten! Hochzeiten war die größten Feste. Sie wurden fast ausschließlich zwischen jungen Menschen aus der Gegend geschlossen. Am ersten Tag des Festes gingen wir in das Dorf des Mädchens. Jeder aß bei den Eltern der Braut etwas, was bis in den späten Nachmittag dauerte. Dann ging das Fest von Haus zu Haus, und allen Bewohnern wurde von den Gästen Brautzucker angeboten. Keine Wohnung durfte ausgelassen werden – dies wäre eine schreckliche Beleidigung gewesen. Am folgenden Tag passierte das gleiche im Dorf des Bräutigams. Wenn der Junge aus demselben Dorf kam wie das Mädchen, aß man bei den Eltern des jungen Mannes "bisquits à la miller" und machte dann die Runde mit dem Brautzucker. Ich brauche wohl nicht zu sagen, wie fröhlich die Teilnehmer bei diesem Rundgang waren, denn jedes Haus bot "canon" nach "canon" an. Wenn dann alle diese zu einer Hochzeit gehörenden Teile des Festes vorbei waren, zogen wir singend zur Kirche nach Laboule, wo die Eheschließung vollzogen wurde. Nach der Trauung abends so um acht Uhr ging das frischvermählte Paar dann zu Bett, und alle Dorfbewohner ließen ihre Türen offenstehen. Die Hochzeitsgäste taten dann so, als ob sie das junge Paar suchten, obwohl sie genau wußten, daß es in seiner Schlafkammer war. Die Gäste machten also eine Runde durch das Dorf und durchsuchten alle Häuser, wobei sie die Gelegenheit nutzten, sich in jedem Haus ein "canon" ausschenken zu lassen. Bei Sonnenuntergang gingen alle zum Haus des jungen Paares und brachten ihm einen Nachttopf. Dieser war nicht leer, nein, er war gut gefüllt mit zerkrümelten Keksen, Kuchenstückchen, Milch, Sahne und frischen Früchten, darüber war eine dicke Schokoladensoße gegossen, die an allen Seiten überlief. Die Jungvermählten mußten mindestens die Hälfte davon austrinken oder aufessen. Weil sie in der Regel gut beschwipst und ziemlich müde waren, schafften sie das meistens nicht mehr, und oft aß die junge Frau mehr, als sie vertragen konnte...

Krankheit und Tod

Wir feierten oft Feste – aber wir hatten auch oft Kranke, die wir nicht mehr gesundmachen konnten. Vielleicht stürzten wir uns auch so ins Vergnügen, um die Angst zu verjagen. Wenn jemand von uns krank wurde, konnten wir nur die uns bekannten alten Hausmittelchen benutzen, denn der Arzt war weit weg (10 km), und man ließ ihn auch nur kommen, wenn man es bezahlen konnte. Oft konnte er, wenn er schließlich kam, nur noch den Tod feststellen.
Wenn wir Beschwerden an den Augen hatten, wurden wir zu einer Nachbarin geschickt, die einen Säugling hatte. Die gab dann ein Tröpfchen Muttermilch in unsere Augen, und wir waren so überzeugt davon, daß es helfen würde, daß wir uns tatsächlich gleich viel besser fühlten.
Wenn wir einmal Ausschlag hatten, gingen wir zu einem Heiler, der mit einem Finger, auf den er vorher gespuckt hatte, über die Pusteln strich, und dann machte er ein Kreuzzeichen darüber. Es half, oder es half nicht.
Auf Splitter kam ein Teerpflaster, ein Zeug wie Asphalt. Es mußte sehr heiß sein, um die Haut um den Splitter herum aufzuweichen – dann kam der Splitter von selbst heraus, und es mußte nur noch die Brandwunde wieder verheilen.
Wenn jemand sehr starke Bauchschmerzen hatte, wurde ein Kaninchen geschlachtet. Es wurde entzwei gehackt und so auf den Bauch des Kranken gelegt. Die Eingeweide und Därme wurden auf der besonders heftig schmerzenden Stelle ausgebreitet. Damit ein Kaninchen geopfert wurde, mußten die Schmerzen aber schon ganz entsetzlich sein.
Diese Mittel halfen nicht immer, und es gab viele Todesfälle. Wenn dieser traurige Fall eintrat, bekam der Tote seine schönsten Kleider, d.h. seine Sonntagskleider angezogen, und er wurde ausgestreckt auf sein Bett gelegt. An das Fußende wurde Weihwasser gesprengt, und es wurden große Kerzen angesteckt. Drei Tage lang sagten die alten Frauen Gebete auf, wobei sie weinten und manchmal auch schrieen.
Um den Toten zu begraben, mußte man nach Laboule, über schmale Pfade, die nicht leicht zu begehen waren, und so wurde ein abwechselnder Dienst für die Träger der Bahre organisiert. Vier Menschen trugen die Bahre von Valousset aus, und ungefähr nach einem Kilometer übernahmen vier andere sie und so weiter bis zum Friedhof.
Einmal geschah etwas Merkwürdiges: ein guter mann, der bei allen im Dorf sehr beliebt war, war gestorben. Am Tag seiner Beerdigung waren alle Leute sehr traurig und hatten sich deshalb wohl Mut angetrunken. Alles ging soweit gut, aber als man am Friedhof ankam, merkte man, daß der Sarg leer war. Dazu muß man wissen, daß die Särge ohne Deckel getragen wurden, um sie leichter zu machen. Die Träger hatten den braven Mann unterwegs einfach in einer Kurve, die für ihre Trunkenheit wohl doch zu steil war, verloren.
Zur Beerdigung nahmen die Menschen Efeukränze mit, in die weiße Papierblumen gesteckt waren. Sehr beliebt waren kleine Girlanden, die Kinder manchmal aus Stückchen von altem Packpapier bastelten. Am Tag nach der Beerdigung ging die Witwe oder die Familie von Haus zu Haus und von Dorf zu Dorf, um sich bei allen zu bedanken, die dem Toten die letzte Ehre erwiesen hatten. Wenn das auch vorbei war, ging man zurück an die Arbeit – es gab keine Zeit zu trauern."



 

Wander- und Reiseführer von Uli Frings:

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